Laudatio von Günter Rohrbach 2024

Laudatio von Günter Rohrbach
anlässlich der Verleihung des Carl Laemmle Produzentenpreises 2024
für den Preisträger Martin Moszkowicz

Die Geschichte hat er schon oft erzählt, sagt er. Dennoch soll sie auch hier am Anfang stehen, ist sie doch für das, worum es heute geht, der Anfang aller Anfänge. Es war der 26. Mai 1982, die Closing Night des Filmfestivals von Cannes. Unter den 1200 festlich gestimmten Gästen im Alten Palais saß in einem mit Hilfe einer geliehenen Fliege mühsam zum Smoking hochstilisierten Jackett auch der 24Jährige Martin Moszkowicz. Ein Freund hatte ihm eines der begehrten Tickets geschenkt. Es lief ET von Steven Spielberg. Als der Film zu Ende war, entlud sich der Saal in eine Ekstase von Begeisterung, wie sie der junge Mann aus München noch nicht erlebt hatte. Er sah die Tränen in den Augen dieser elegant gekleideten Menschen, er sah die umjubelten Schauspieler auf der Bühne, er sah den leibhaftigen, von ihm verehrten Jack Lemmon, wie er vor Steven Spielberg auf die Knie sank, und er wusste, wenn ein Film in der Lage ist, solche Emotionen auszulösen, dann wollte er dabei sein.

 

Ein bisschen dabei war er zu diesem Zeitpunkt bereits, doch die endgültige Entscheidung stand noch aus. Aber greifen wir zwei Jahrzehnte zurück. Martin Moszkowicz wurde am 25. April 1958 geboren, in Berlin, obwohl seine Eltern zu diesem Zeitpunkt in Hannover wohnten. Doch weil sie offensichtlich ahnten, dass sich da ein besonderer Mensch ankündigte, wollten sie ihm den Geburtsort Hannover nicht zumuten und fuhren mit ihrem VW Käfer in die alte Hauptstadt. Allerdings war auch Hannover damals nur Zufall, denn die kleine Familie führte eine Art Vagantenleben, weil Vater Imo, Theater- und Filmregisseur, den Familienwohnsitz den jeweiligen Engagements anpasste. Erst als drei Jahre später die Schwester Daniela dazukam, entschloss man sich langsam für einen festen Wohnsitz in Ottobrunn bei München.

 

Hier ist Martin aufgewachsen in einem von überbordender Gastfreundschaft geprägten Haus, das er als eine Art Villa Kunterbunt erlebte und wo es nicht leicht war, einen ruhigen Platz für seine frühe Leseleidenschaft zu finden. Er wird die Waldorfschule in München besuchen, dort auch Abitur machen und zwischenzeitlich neben dem Lesen eine von den Eltern misstrauisch beobachtete zweite Leidenschaft entwickeln, die zum Kino. Der bevorzugte Ort für diese Faszination war das Filmmuseum am Jakobsplatz. Hier sah er die berühmten Werke der Filmgeschichte, hier begegnete er Autoren und Regisseuren und wurde mehr und mehr gefangen. Aber der Vater, durch eigene Enttäuschungen frustriert, sah für den Film keine Zukunft und drängte ihn mit Macht zu einem Universitätsstudium. Er gehorchte, belegte Geschichte und Politische Wissenschaften mit dem Ziel Journalismus. Doch das Leben hatte anderes mit ihm vor. Der Student brauchte Geld, und wo ließ sich das mit der nötigen Findigkeit verdienen, beim Film. Und so begann auch diese Produzentenkarriere, wie so viele zuvor in dieser Zeit, als Produktionsfahrer.

 

Wir sind inzwischen in den späten siebziger Jahren, und in München wimmelte es trotz Kinokrise von neu gegründeten Filmproduktionen. Getrieben von den Geldern des damals noch innovationsfreudigen Fernsehens, hatte der sogenannte Junge deutsche Film Schwabing zu einem deutschen Klein-Hollywood gemacht. Und der wissbegierige junge Student fing an, ein Teil davon zu werden. Unter den bereits arrivierten Filmemachern lernte er einen jungen Amerikaner kennen, der sich aus Liebe, sei es zur Stadt oder doch eher zu seiner Barbara, hier niedergelassen hatte, George Moorse. „Bei George hing man ab“, erzählt Moszkowicz, aber es war dann Barbara Moorse, die den Ehrgeiz des jungen Mannes erkannte und ihn in ihr Produktionsteam aufnahm. Er lernte schnell, sehr schnell, übersprang ein paar Stufen und hatte bald schon seine ersten eigenen Produktionen, unter anderem mit Eckhart Schmidt, der eine Art Mentor für ihn werden sollte. Und da er nicht nur ehrgeizig, sondern auch ungewöhnlich talentiert und risikofreudig war, gründete er sehr bald – die Universität hatte er längst verlassen – seine eigene Produktionsfirma „Starfilm Production“. Bescheiden klingt das nicht gerade, aber das wäre auch der falsche Begriff für einen, der von Anfang an groß dachte. Dazu gehörte auch, dass er den Bemühungen des sogenannten Jungen deutschen Films skeptisch gegenüberstand. Er wollte den Erfolg in seiner klarsten Form, nämlich beim großen Publikum. Dafür standen in den 80er Jahren immer noch einige der sogenannten Altproduzenten, Horst Wendtland vor allem, aber auch Arthur Brauner, Luggi Waldleitner, Buba Seitz und andere. In ihrem verzweifelten Bemühen, Themen und Stoffe zu finden, mit denen sie gegen das immer mehr dominierende Fernsehen Menschen ins Kino locken konnten, waren einige von ihnen auf eine Fundgrube gestoßen, mit der sie das sittenstrenge Fernsehen überrumpeln konnten: den Sex. Die Welt war damals in Bewegung geraten, es hatte die 68er gegeben, die Hippies und nicht zuletzt die Apologeten einer sexuellen Befreiung. Filmische Protagonisten auf diesem Feld waren die Produzenten Wolf C. Hartwig und Karl Spiehs, Letzterer eine österreichische Wunderkerze, der sich einem in heiterer Gerissenheit mit der Bemerkung präsentierte, er habe in seinem Leben mehr als hundert Filme produziert, aber keinen guten. Spiehs, so erzählt es Martin Moszkowicz (Wikipedia weiß davon nichts), hatte sein Leben als Schausteller begonnen, mit einem stinkenden toten Wal sei er durch die österreichischen Dörfer gezogen. Was aber zweifellos gilt, er war furchtlos und hemmungslos und voller Ideen, die von geschmacklichen Grenzen nicht belästigt wurden. Für seine Filme galten zwei Bedingungen, sie sollten lustig sein und möglichst wenig kosten. Als Schauplätze eigneten sich dafür besonders Länder im asiatischen Raum. Für ihre Herstellung war ein intelligenter, sprachgewandter und nahezu beliebig belastbarer junger Mann wie Martin die ideale Person. Zusammen mit seinem Kumpel Eric Moss stürzte er sich in diese Abenteuer, die Raum gaben für seine bis heute andauernde große Reiselust und seine seltene Sprachbegabung. Die europäischen Hauptsprachen beherrschte er schon früh, kurzfristig notwendige Nebensprachen, wie beispielsweise indonesisch, lernte er spielerisch dazu.

Es war eine aufregende, lehrreiche und, wie er betont, vor allem auch lustige Zeit, in der diese Filme entstanden, die heute nicht auf seinem Record stehen, deren Erfahrung er aber nicht missen möchte. Auf einen in diesen Jahren produzierten Film soll aber doch hingewiesen werden, den er jenseits des Karl Spiehs Imperiums mit drei Ungarn drehte, die eines Tages in seinem Büro standen. Man kann vermuten, dass es unter anderem Martins Herkunft war, die dafürsprach, ausgerechnet ihn mit diesem Thema zu konfrontieren. Der Film erzählt die wahre Geschichte einer jüdisch- ungarischen Familie während der Nazizeit, in der die Eltern ihr Kind an eine christliche Familie übergeben, bevor sie selbst verhaftet und später in einem Konzentrationslager ermordet werden. Der Film mit dem Titel „Hiobs Revolte“ erhielt eine Oscar-Nominierung, und so wurde Martin Moszkowicz schon sehr früh Mitglied der American Academy.

 

Dann kam der erste größere Sprung. Zusammen mit einem vermögenden Kaufmann, der sein Geld mit anderen Geschäften verdiente, gründete er die M+P Film GmbH. Mit ihr wird er unter anderem den Film drehen, der seinem Leben eine schicksalhafte Wendung verleihen sollte.  Der renommierte Regisseur Robert van Ackeren hatte mit dem Film „Die flambierte Frau“, getragen von der sehr erotischen Gudrun Landgrebe, einen Hit gelandet und wollte seine spezielle Karriere mit einem Film fortsetzen, in dem der erotische Part von Sonja Kirchberger übernommen wurde: „Die Venusfalle“. Es stand, zusammen mit dem Filmverlag der Autoren, nun erstmals ein größeres Budget im Raum: 3 Millionen. Doch leider wurde das Budget um etwa die gleiche Summe überschritten, und Moszkowicz musste dafür einstehen. Der Film wurde zwar ein Erfolg, auch ökonomisch, doch das Geld blieb, wie das Produzenten gelegentlich geschieht, irgendwo hängen. Bei ihm jedenfalls kam es nicht an. Er war nun hoch verschuldet, und es war klar, dass es für ihn nur noch einen Weg gab, den zum Konkursrichter. Am Vorabend ging er, wo sollte er in seiner Verzweiflung auch sonst hingehen, in Schumanns Bar. Sie war ein besonders auch bei Filmleuten beliebter Ort. Und da stand irgendwann am Abend zufällig der Mann neben ihm am Dresen, den er seit Jahren schon bewunderte, weil der die Filme machte, die er selbst gerne auch produziert hätte, wozu ihm aber die Möglichkeiten fehlten: Bernd Eichinger.

 

Eichinger war der unumstrittene Star unter den jüngeren deutschen Produzenten, einer, der aus der Provinzialität, der Kleinmütigkeit des deutschen Films herausragte und von Anfang an die Konkurrenz mit Hollywood gesucht und bestanden hatte. Viele Jahre lang war er mit seiner Constantin mehr oder weniger allein verantwortlich für den Marktanteil des deutschen Films. Mit seiner charismatischen Ausstrahlung hatte er sich selbst zur Marke gemacht, so dass ihm irgendwann auch Produktionen zugeordnet wurden, die er gar nicht produziert hatte, einfach weil sie erfolgreich waren und im Verleih der Constantin liefen.   

 

Eichinger hatte auch ein Gespür für die Qualitäten anderer, und so war ihm dieser fleißige, hyperaktive junge Mann schon länger aufgefallen. So kam es, dass Moszkowicz am nächsten Tag nicht zum Gericht ging, sondern zur Constantin. Auf eine Weise, die er schon damals nicht ganz durchschaute, heute aber nur noch peripher erinnert, wurden seine Probleme erst einmal gelöst. Und im Gepäck der Aktionen, wenn auch, wie er meint, nicht als Bedingung, kam dann irgendwann auch das Angebot, in die Dienste der Constantin zu treten. Es ist beim Film nicht anders als sonst im Leben, es wird einem nichts geschenkt.

 

Martin Moszkowicz kam allerdings nicht mit leeren Händen. Er hatte Zugriff auf die Rechte eines französischen Bestsellerromans, „Salz auf unserer Haut“ von Benoite Groult. Das wurde sein erster großer Film, den er zusammen mit Eichinger produzierte. Es war dann, daran musste er sich gewöhnen, natürlich ein Bernd Eichinger Film.

 Eichinger selbst hatte zu diesem Zeitpunkt beschlossen, nach Amerika zu gehen, weil er glaubte, nur dort die Filme drehen zu können, mit denen er langfristig konkurrenzfähig sein würde. Moszkowicz sollte sein Stellvertreter in Deutschland sein, zuständig für die deutschen Filme. Einer dieser Filme wurde dann das, was er heute den Film seines Lebens nennt, „Bin ich schön“ von Doris Dörrie. Seither sind die beiden ein Paar.

 

Parallel dazu verlief der unaufhaltsame Aufstieg des Martin Moszkowicz im Getriebe der Constantin. Zielstrebig schaffte er sich Raum für seine Ambitionen, und sehr bald merkte man in der Firma, dass von einem auf der freien Wildbahn des Produzierens Gehärteten wie ihm viel zu lernen war. So blieb es keineswegs, wie ursprünglich geplant, bei den rein deutschen Produktionen. Gerade bei den großen internationalen Filmen wie dem“ Geisterhaus“ zeigte sich, wie nützlich es war, einen Mann an Bord zu haben, der mit den Akteuren in ihrer eigenen Sprache verhandeln konnte. Eichinger war schlau genug, diese Hilfe anzunehmen, begriff er sich doch, je älter er wurde, immer ausschließlicher als Künstler, der die lästigen Verhandlungsmarathons gerne in andere Hände legte. Martin Moszkowicz wurde so immer unentbehrlicher.

 

Martin Moszkowicz hat die besondere Begabung und das sichere Gespür dafür, was die Menschen sehen und erleben wollen, was sie zum Lachen und zum Weinen bringt und im Innersten bewegt. Darum geht es beim Film. Darum ging es dem Menschen, den wir heute ehren, ein Leben lang.

Ich hatte den Vorzug, als – ich weiß nicht, ob es den Begriff überhaupt gibt – eine Art Leasing-Produzent gelegentlich mit ihm zusammenarbeiten zu können. Dabei konnte ich aus nächster Nähe erfahren, warum dieser Mann so erfolgreich ist. Martin Moszkowicz weiß sehr genau, dass die größten Fehler bei der Filmproduktion gleich am Anfang gemacht werden, nämlich bei der Entscheidung für den Stoff. Es gibt unendlich viele gute Stoffe, aber nur wenige haben das Zeug, zu erfolgreichen Filmen werden zu können. Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass in Deutschland Jahr für Jahr gute Filme entstehen, die niemand sehen will, ja von denen selbst Interessierte nicht einmal realisieren, dass es sie überhaupt gibt.  Vielleicht gelingt Moszkowicz diese Differenzierung auch deshalb so gut, weil er immer auch als Verleiher denkt. Er tat dies schon, als er noch nicht den Vorzug hatte, über einen eigenen Verleih zu verfügen. Im Gegensatz zu vielen Produzenten weiß ein guter Verleiher, dass es Argumente braucht, um die Zuschauer für einen Film zu gewinnen. Die Menschen gehen nämlich nicht in“ gute“ Filme, sie gehen in Filme, die sie interessieren, und da hilft es natürlich, wenn sie auch gut sind, aber entscheidend sind andere Gründe.

 

Über diese Gründe – zu denen neben dem Stoff natürlich auch Fragen wie „wer führt Regie“, „wer spielt“ gehören – sehr genau nachzudenken, sie in den Mittelpunkt seiner Erwägungen zu stellen, gehört zu den Vorzügen des heutigen Preisträgers. Ich habe solche Gespräche mit ihm sehr genossen und immer auch etwas dabei gelernt. Dabei konnte ich über das aktuelle Projekt hinweg stets auch bewundernd erleben, wie sehr Martin Moszkowicz über den Rand der deutschen Filmproduktion hinausblickt. Ich kenne in diesem Metier niemanden, der so umfassend wie er den internationalen Filmmarkt, besonders natürlich den amerikanischen, im Auge hat. Er kennt die Szene nicht nur, er wird in ihr auch gekannt und von ihr ausgezeichnet.

 

Über diese persönliche Erfahrung hinaus, ist unübersehbar, wie sehr sich sein öffentliches Standing in den Jahren gefestigt hat.  Seine Meinung ist gefragt, national und international, wenn es um filmpolitische Probleme geht. Und er äußert sich auch, wenn er gerade mal nicht gefragt wird. Martin Moszkowicz ist zu einem Frontmann der deutschen und europäischen Filmpolitik geworden, und er wird diese Rolle auch nicht verlieren, wenn er die Constantin nicht mehr im Rücken hat. Am Folgetag unseres letzten Gesprächs hatte er eine persönliche Verabredung mit dem Bundesfinanzminister.

 

In einem Punkt unterscheidet er sich allerdings nicht von dem einstigen Jungproduzenten, er ist leidenschaftlich gerne unterwegs, meist quer über die Ozeane, von Drehort zu Drehort, von Verhandlungstermin zu Verhandlungstermin. Dennoch ist er immer erreichbar, beantwortet Mails, unabhängig von der Zeitzone, in der er sich gerade befindet, in Minutenabständen. Man fragt sich besorgt: wann schläft der eigentlich? Viel zu wenig, heißt es von Kolleginnen und Kollegen in der Constantin. Es haftet etwas Ahasverhaftes an ihm, eine Farbe, die gerade hier nicht unbeachtet bleiben darf. Martin Moszkowicz ist Jude wie der Namensgeber des Preises, der ihm heute verliehen wird.

 

Moszkowicz hat sein Jüdischsein lange nicht öffentlich gemacht, warum sollte er auch. Erst neuerdings gibt es erschreckende Gründe, daran etwas zu ändern. Nun, der Name hätte einen auch früher schon stutzig machen können. Zwar sind Namen mit der „witsch“ gesprochenen Endsilbe inzwischen hierzulande durchaus üblich, allerdings nicht in der besonderen, beim Niederschreiben jeweils herausfordernden Schreibweise mit sz in der Mitte und cz am Ende. In Los Angeles, sagt er, gibt es diese Namensversion recht häufig, und alle sind sie Juden.

 

In Interviews hat Moszkowicz zuletzt einiges über seine jüdische Identität preisgegeben. Er hat von seinem Vater erzählt, der als junger Mann nach Auschwitz deportiert wurde und als einziger seiner Familie überlebte. Er hat von der „unmöglichen“ Liebe seiner Eltern gesprochen, dem Auschwitzüberlebenden und der Tochter eines hohen SS -Ranges. Er hat auch die Anfeindungen nicht verschwiegen, denen er sich in letzter Zeit ausgesetzt sieht, eine Erfahrung, die er auch als Kind schon machen musste. Gerade das möchte man nicht für möglich halten im Angesicht von Holocaust und hunderten öffentlichen Bekundungen zur deutschen Schuld.

 

Carl Laemmle, so darf man vermuten, ist diese Erfahrung erspart geblieben, hat er doch Deutschland bereits als junger Mann verlassen, wahrscheinlich aus Neugier und Abenteuerlust. Von der Pogromnacht wird er noch zu seinem Entsetzen gehört haben, die eigentliche Katastrophe hat der 1939 Verstorbene nicht mehr erleben müssen.

Es folgten die großen Einschnitte in der Geschichte des Unternehmens, der Börsengang und, vor allem, Eichingers Tod. Viele glaubten damals, die Constantin würde den Verlust ihres genialen Frontmannes nicht überleben. Dass es anders kam, ist nicht zuletzt das Verdienst des heutigen Preisträgers. Entschlossen riss er immer mehr Kompetenzen an sich, bis man ihn 2014 endlich mit der Berufung zum Vorstand der Geschäftsführung belohnte. Es folgten außerordentlich erfolgreiche zehn Jahre mit großen Filmen, mit der bewussten Ausrichtung auf Familienunterhaltung und dem Ausbau der Fernsehabteilung unter Oliver Berben. Die Zeiten, in denen nicht nur das Schicksal eines einzelnen Unternehmens sondern praktisch des ganzen deutschen Films von den Emanationen eines einzelnen Mannes abzuhängen schien, lagen weit zurück. Es hatten sich inzwischen auch weitere deutsche „Majors“ etabliert, die bessere Ausgangsbedingungen hatten als die Constantin. Dennoch gelang es Moszkowicz, sein Unternehmen zum deutschen Marktführer in der Kinofilmproduktion zu festigen. Dies gelang vor allem durch die stupende Kontinuität, mit der hier ökonomisch erfolgreiche Filme herausgebracht wurden. Überdies ragten auch immer wieder Leuchttürme heraus, wie etwa die „Fack ju Göhte“ Filme oder die wunderbare Eberhofer – Serie nach den Romanen von Rita Falk.

 

Es entfaltete sich in diesen Jahren das Persönlichkeitsbild des Martin Moszkowicz, das so anders ist als das des Charismatikers Eichinger. Der einstige Freibeuter Moszkowicz reifte zum klassischen Unternehmensführer, der die Richtung vorgibt und sich die Mitarbeiter sucht, die bereit und geeignet sind, ihm dabei zu folgen. Sein Bild in der Öffentlichkeit unterscheidet sich sehr von dem Klischee, das fast ein Jahrhundert lang für Filmproduzenten stand. Eichinger war der letzte, der gelegentlich diesem Bild zu entsprechen versuchte. Man kann sich Martin Moszkowicz nicht entfernt als einen Partygast vorstellen, der aus dem Schuh seiner Partnerin Champagner trinkt. Freilich würde Doris Dörrie dafür auch wohl kaum zur Verfügung stehen.

 

In Los Angeles gibt es heute noch eine große jüdische Gemeinde. Ihr fühlt sich Martin Moszkowicz besonders verbunden, nicht zuletzt, weil sie liberaler ist als die hiesige und ihn als „Vaterjuden“ voll anerkennt, was die strengere deutsche Gemeinde nicht tut. Es mag dies einer der Gründe sein, warum er immer wieder gerne dort hinreist. Sein Name ist ihm in Los Angeles eher eine Hilfe und wird in der Regel auch richtig geschrieben, ein Vorzug, um den ihn Bernd Eichinger beneidet hat, dem immer mal wieder bedeutet wurde, er möge den seinen doch buchstabieren.

 

Über das Verhältnis jüdischer Menschen zu bestimmten Berufen gibt es zahlreiche Klischees, auch feindselige. Nicht zu übersehen ist aber, dass Juden gerade zum Film ein besonderes Verhältnis haben. Es gibt in der Filmgeschichte nicht nur herausragend viele große jüdische Produzenten, sondern auch Autoren, Regisseure, Schauspieler in weitaus größerer Zahl als es dem Bevölkerungsanteil entspricht. Es mag dafür viele Gründe geben, die unter anderem mit den Erzähltraditionen in der Diaspora zu tun haben. Auf eine spezifische Fähigkeit hat Martin Moszkowicz im Gespräch selbst hingewiesen, die er zweifellos auch für sich reklamiert, nämlich eine besondere Begabung, gegenseitige Positionen im Gespräch so gegeneinander abzuwägen, dass es zu einem Ergebnis führt, bei dem beide Seiten sich wohlfühlen. Für einen Produzenten ist diese Fähigkeit unerlässlich. Weitaus wichtiger ist freilich das sichere Gespür dafür, was die Menschen sehen und erleben wollen, was sie zum Lachen und zum Weinen bringt, was sie im Innersten bewegt. Darum geht es beim Film, darum ging es dem Menschen, den wir heute ehren, ein Leben lang. Und daran wird sich auch in den kommenden Jahren, in denen er frei von administrativen Aufgaben seiner Leidenschaft nachgehen will, nichts ändern. Dafür wünschen wir ihm von Herzen: Mazel tov!

 

Laupheim, 16. Mai 2024